2 Adenauer

Man sieht schon so einiges Skuriles hinsichtlich des so genannten „Adenauers“ etc.
Diesen interessanten Artikel fand ich ehemals auf einer Website die es heute nicht mehr zu geben scheint. Daher erlaube ich mir den hier nochmals zu veröffentlichen.

Im Umgang mit der Nationale und Gastlandflagge verrohen die Sitten. Zwar sind die strengen traditionellen Rituale in der Tat sinnlos geworden. Doch Anstand und Seemannschaft gebieten immer noch die Einhaltung bestimmter Regeln. Plädoyer für eine zeitgemässe Minimallösung.

Die Gastlandflagge unter der Saling signalisiert Respekt fürs besuchte Land

Sonnenuntergang. Segler sitzen gemütlich in der Plicht und lassen die erlebnisreichen Stunden auf dem Wasser bei einem Bier ausklingen. Dann geht der Tag – und die Nationale bleibt. Das ist praktisch. Es erspart am nächsten Morgen den Weg nach achtern.

Dabei gehört es nicht nur zum guten Ton, die Nationale bei Sonnenuntergang wegzunehmen und morgens wieder zu setzen. Mehr noch, es ist ein Gebot der Seemannschaft, wie im gleichnamigen Standardwerk geschrieben steht: „Nachlässigkeit gegenüber der Flaggenparade gilt als Missachtung der am Platz wehenden Nationalflagge.“

Diese Kleinigkeit war als fester Bestandteil der Yachtetikette für Generationen von Seglern verbindlich. Doch es sieht so aus, als sei die letzte Generation, die sich darum kümmerte, endgültig an Land gegangen. Das Ritual hat offenkundig, wie mancher andere Seglerbrauch, seine Bedeutung verloren. Eine Entwicklung, die in der Seglerschaft für erbitterte Diskussionen sorgt. Im Yacht-Online-Forum finden sich zum Thema Flaggenführung in verschiedenen Threads über 1100 Beiträge, auf die knapp 20’OOO-mal zugegriffen wurde – mit weitem Abstand der Aufreger Nummer eins mit ernsthaftem Inhalt, nur übertroffen von Witzen und Schnappschüssen.

Im Vergleich zu anderen Ländern tun sich Deutsche aus bekannten geschichtlichen Gründen mit nationalen Symbolen schwer. Junge Segler interessieren sich ohnehin kaum für derart uncoole Fragen. Die wollen brettern und kein Brimborium. Und Segelanfänger jeden Alters amüsieren sich eher über das anachronistische Gehabe um
Flaggenprozeduren.

Schwarz, Rot und Gold spielen in der Bundesrepublik allenfalls bei Fußball-Weltmeisterschaften, bei staatstragenden Anlässen oder der Neujahrsansprache der Kanzlerin eine Rolle. Dass die Nationale an Bord einer seegehenden Yacht ihren festen Platz hat und für deren Handhabung klare Regeln gelten, ist den meisten Einsteigern neu. Und Routiniers, wie an Ankerplätzen und in Häfen unschwer zu erkennen, anscheinend zunehmend gleichgültiger.

Die Segelszene, einst eine ausgesprochen konservative Bastion überlieferter Wertvorstellungen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert. Allerorten wurden und werden alte Zöpfe abgeschnitten, Gebräuche und Rituale hinterfragt. Das liegt zuvorderst daran, dass der Segelsport häufiger unter Erholungs- und Nutzwertgesichtspunkten gesehen und vom maritimen Ballast befreit wird. Die wachsende Zahl der Eigner, die ein günstiges Boot als Zweit- oder Dritthobby benutzen, sowie der Charterurlauber, die aus guten Gründen gezielt für ein, zwei Wochen im Jahr in einem sonnen- und windsicheren Revier an Bord gehen, sich also von Haus aus zwanglos mit dem Segeln befassen, beschleunigt die in vielerlei Hinsicht richtige Entritualisierung des Segelns. Denn es ergibt schon lange keinen Sinn mehr, in Geist und Stil der Rahseglerzeit aufs Wasser zu gehen. Der Spruch „Besanschot an“ passt nicht zum Wassersport im 21. Jahrhundert.

Wenn Hobbysegler dem ausländischen Marinefahrzeug bei jeder Gelegenheit das Zeremoniell des Flaggengrußes abverlangen würden, wie es seit je internationalen Gepflogenheiten entspricht, wären die Kadetten auf den großen grauen Schiffen nur noch mit Rennen, Antreten und Dippen beschäftigt. Und weicher Segler möchte nach einem anstrengenden Törn oder ausführlichen Landgang morgens eigens zum Setzen des so genannten „Adenauers“ in aller Herrgottsfrühe aus der Koje kriechen, weil der Hafenmeister eines traditionsbewussten Yacht-Clubs ihn pünktlich am Heck der ausländischen Gastyacht erwartet, wie es sich streng genommen ebenfalls gehört? Es gibt Grenzen und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, die stets neu zu überprüfen sind. Wer nicht mit der Zeit geht, macht sich lächerlich.

Als es weder UKW-Sprechfunk oder Handy gab, hatte die akkurate Flaggenführung und die Einhaltung der Flaggenregeln eine andere Bedeutung. Flaggen waren Kommunikationsmittel. Und sind es heute noch, wenn es anders nicht geht, etwa auf den Regattabahnen, wo Flaggensignale nach wie vor den Kurs, Schwimmwestenzwang, Startverschiebung und Ähnliches anzeigen.

Die Seglerschaft zieht in vielen Bereichen eine mächtige, bremsende Schleppe überlebter bis sinnentleerter Traditionen hinter sich her. Andererseits existieren schöne Yachtgebräuche, die kaum Mühe machen und nach wie vor sinnvoll sind. Der Umgang mit den Flaggen zählt dazu.

Die Nationale kündet von der Herkunft der Yacht, die steuerbord unter der Saling geführte Gastlandflagge vom Respekt für das besuchte Land. Der backbord geführte Clubstander informiert über die Zugehörigkeit zu einem Segelverein, zu einer Gemeinschaft. Backbord wehende Nationalflaggen verraten, dass Crewmitglieder aus entsprechenden Nationen an Bord sind – in fernen Revieren oft Anknüpfungspunkt für die Begegnung mit Landsleuten, von deren Anwesenheit andere sonst vielleicht nie erfahren würden.

Umgekehrt weist die tagsüber in Küstennähe fehlende Nationale darauf hin, dass sich das Schiff auf einer Regatta befindet und empfiehlt anderen Seglern, nicht auf ihrem Wegerecht zu bestehen.
Auch wenn alte Schule gut tut, auch wenn es schön und anzuerkennen ist, dass jemand ganz genau weiß, wie es geht und was sich an Bord gehört – wünschenswert wäre eine allgemeine Verständigung auf ein sinnvolles Minimum: Flaggenführung light. Dieses Minimum müsste nur verbindlich definiert werden.

DIE FLAGGENGRÖSSE
Früher hieß es, die Nationale solle so groß sein, dass ihr Zipfel, bei Flaute vom Stock herabhängend, bei einem stilliegenden Boot eben das Wasser berührt. Diese Regel war für Klassiker mit rasant geneigtem Flaggenstock bestimmt. Sie würde bei modernen Booten mit hohem Freibord zu absurd großen Nationalen führen. Dennoch sind solche, formal völlig korrekten Peinlichkeiten nicht selten.

Heute orientiert sich die richtige Größe an einer Faustformel: Die Nationale soll in Zoll so lang sein wie die Yacht über alles in Fuß. Weil der Wert aber meist nicht genau aufs Angebot des Ausrüsters passt, ist die nächstgrössere zu wählen. Ihre Höhe beträgt übrigens stets zwei Drittel der Länge.

GRÖSSE NACH FORMEL, STOCK MITTSCHIFFS, PARADE GENAU UM ACHT
Die Gastlandflagge soll halb so lang sein wie die Nationale. Ähnlich wie die üblichen Bonsai-Ausführungen gelten auch ausgeblichene und ausgefranste Gastlandflaggen als respektlos und unhöflich. Es gibt tatsächlich Hafenmeister, die darauf mit der Zuteilung eines ungünstigeren Liegeplatzes reagieren und Klarierbehörden, die das monieren.

DER FLAGGENSTOCK
Im Idealfall steht der Stock mittschiffs auf dem Heck. Wenn der Durchgang zur Badeplattform, die Badeleiter oder die Auflage der Gangway dies ausschließt, wird die Nationale steuerbord – und nur im absoluten Ausnahmefall backbord – am Heck geführt. Denn die Steuerbordseite gilt seit je als die „bessere“. Traditionsbewusste Seebären bestehen bei der Kojenwahl auf der Steuerbordseite.

Bei gaffelgetakelten Yachten, auf denen der Großbaum achtern übersteht, wurde die Nationale übrigens nur vor Anker liegend oder im Hafen auf dem Heck gesetzt. Beim Segeln wehte sie am Achterliek des Groß.

Leider lässt manche Werft die Flaggenstockhalterung irgendwo am Heckkorb anschweißen. Eine Begründung dafür ist, dass Flaggenstock und Nationale den Sektor des Hecklichts nicht einschränken. Dabei wird die Nationale bei eingeschalteten Positionslaternen, also meist bei Dunkelheit, äußerst selten gefahren, allenfalls bei Nebel. Die Halterung sollte auch nicht am Gestänge, sondern möglichst nah am Deck angebracht sein, damit der Stock nicht unnötig weit über den Korb ragt. Er wäre sonst bei Hafenmanövern übermäßig exponiert.

Der Flaggenstock wird zudem werftseitig häufig variantenreich nach Lust und Laune geneigt. Weil die Nationale im hängenden Zustand bei Flaute zu erkennen sein soll, wäre ein Winkel von 40 Grad zur Senkrechten korrekt. Bei klassischen Yachten sieht man deutlich schrägere Flaggenstöcke, was zum Typ passt und auf die angeführte Regel „Zipfel auf die Wasseroberfläche“ zurückzuführen ist. Auf modernen Booten wirkt das pathetisch und übertrieben.

DIE FLAGGENPARADE
Ganz genau genommen, sollen alle Flaggen in nordeuropäischen Gewässern zwischen dem I. Mai und dem 30. September um 8 Uhr gesetzt, in der übrigen Zeit um 9 Uhr und bei Sonnenuntergang eingeholt werden. Das hätte allmorgendlich gewiss sonderbare Szenen zur Folge, wenn in einer voll belegten Marina jeder Skipper minutengenau zur Parade schritte. Vollkommen überholt.

Anders sieht es mit dem Bergen der Gastlandflagge aus. Die Mehrzahl der Yachties beschränkt sich beim Einholen auf die Nationale. Dabei gilt das für die Gastlandflagge ebenfalls als Gebot des Respekts und ist mit der umlaufenden Leine unter der Saling wahrhaftig keine große Sache. Die Gastlandflagge wird, ebenfalls aus Gründen der Ehrerbietung, morgens stets vor der Nationalen gesetzt und abends nach ihr eingeholt.

Kleinkariert hingegen, wer fundamentalistisch auf die akkurate Geschwindigkeit des Prozederes pocht: Die reine Lehre verlangt, dass langsam geborgen und schnell gesetzt wird.

Kehrt die Yacht von einem langen Törn mit mehreren besuchten Ländern zurück. wird dies bei der Rückkehr mit den Gastlandflaggen der besuchten Länder angezeigt. Allerdings nur bis Törnende und nicht noch über Wochen.

Übrigens kann die Flagge bei langen küstenfernen Passagen, wenn keine Begegnung mit anderen Schiffen erwartet wird, auch tagsüber geborgen bleiben. Dann weht sie nicht so rasch aus. (Der unnötige Verschleiß kostbaren Tuchs war ursprünglich auch der Grund für das nächtliche Einholen.) Das widerspricht zwar der Etikette im engeren Sinn, ist aber ebenso zweckmäßig und heutzutage ebenso legitim wie an windreichen Tagen das Aufwickeln der knatternden Flagge um den Stock, wo sie mit einem Bändsel gesichert wird.

Eine weitere Ausnahme von der Regel: Wenn die Yacht im Restlicht nach Sonnenuntergang oder nachts in einen beleuchteten Hafen einläuft, soll die Nationale gesetzt bleiben, wenn sie zur Identifizierung des Boots beiträgt. Ebenfalls eine weit verbreitete Unsitte ist eine gesetzte Gastlandflagge (wenn nicht gar die Nationale) auf einem unbewohnten Schiff im Hafen. Beides gehört dort nicht hin, einzig der Clubstander.

Im Gegensatz zu früher verbietet sich im Hafen auch eine Signalflagge unter der Saling. Ehedem gab es für alle Eventualitäten das entsprechende Signal. Wenn der Eigner nicht an Bord war, wehte es Blau unter der Steuerbordsaling und Blauweiß, wenn sein Stellvertreter Dienst tat. Bei Weiß an Steuerbord tafelte der Skipper, bei Rot an Backbord saß die Besatzung.

Im Vergleich zu dieser Flaggennomenklatur nimmt sich der Aufwand für angemessenen, zeitgemäßen Umgang mit Nationale und Gastlandflagge geradezu lächerlich aus. Umso bedauerlicher, dass selbst eine Ultra light- Version von Etikette derart vielen keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Autor: Denis Giger / www.narathiwat.ch (?)
PDF auf Anfrage.

s.a. http://www.esys.org/esys/flaggen.html EUROPÄISCHES SEGEL-INFORMATIONSSYSTEM – Flaggenführung und -ettikette auf Schiffen

Kategorien: Ausrüstung & Technik

Clemens

Chefredakteur

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